Samstag, 7. März 2015

"Mama vs. Mama" oder "Team Mama"?

So zog also langsam Alltag in mein Leben ein. Die Wohnung war eingerichtet, in jedem Kinderzimmer stand ein Bett, es gab Spielzeug, Kleidung, einen Kühlschrank, dreckige Kinderwäsche und dreckiges Geschirr. Eben alles was sich so ansammelt und was ich mir gewünscht habe. Wenn auch nur am Wochenende. Ich hatte Arbeit und mein Arbeitgeber war sogar so freundlich, mir die Wochenenden überwiegend frei zu geben. Was nicht immer so einfach war - schließlich gab es auch noch andere Mamas - und ich arbeitete in einem Callcenter, in dem es eine SiebenTageArbeitsWoche gibt. Meine Vorgesetzten kannten meine Lebenssituation und meine Teamleiterin legte oftmals ein gutes Wort für mich ein. Eigentlich lief alles recht gut. Auch mit dem Papa meiner ChaosKinder & seiner Partnerin. Vielleicht zu gut? 

Es war mitten in der Woche und ich war an einem sonnigen Tag arbeiten. Zu 13:00 Uhr - das weiß ich noch haargenau - erhielt ich einen Anruf vom Papa der ChaosKinder während einer meiner kleinen Zigarettenpausen. Er hätte nur eine kleine Frage, meinte er und war auch recht gut gelaunt. Nichts Schlimmes also, ich war beruhigt. "Hast du was dagegen, wenn sie die Kinder adoptiert?", schallte es in mein Ohr. In meinen Kopf. In mein Herz. Ich war im ersten Moment so irritiert und geschockt, dass ich erst mal lachen musste. Diese Frage konnte doch wohl nicht wirklich ernst gemeint sein?! War sie aber. An den weiteren Verlauf dieses Telefonates kann ich mich kaum noch erinnern. Ich sagte Dinge wie "Wohl sicher nicht. Ich lebe ja wohl noch!". Der ChoasKinder Papa reagierte relativ ruhig und hatte von mir sicher auch keine andere Antwort erwartet, versuchte aber dennoch mir klar zu machen, dass ich meine Kinder ja nicht verlieren würde. Dieses Argument mag ja eventuell für manchen plausibel erscheinen. Für mich allerdings so gar nicht. Schließlich war es das einzige, was mir blieb. Was ich jeden Tag haben würde. Ich habe jeden Tag das Sorgerecht - die Pflicht auf Sorge wie es eigentlich heißen müsste - für meine Kinder. Ich war durch. Der Tag für mich erledigt. Ich hatte alle möglichen Gefühle. Ich war ungläubig - war das gerade wirklich passiert? Das war deren Ernst. War das wirklich ernst gemeint? Ja. Ich war wütend. So wütend. Fassungslos. Ich war traurig und hatte vor allem eines: Angst. Ich habe geweint und gezittert. 
Arbeiten. Ja, arbeiten. Konnte ich so gar nicht mehr. Meine Konzentration war im Eimer. Arbeitsfähig war ich nicht mehr. Nach einem Gespräch mit meinen Vorgesetzten war denen schnell klar, dass ich so nicht mehr telefonieren und kundenberatend tätig sein kann. Also konnte ich nach Hause gehen. Wie der Rest des Tages verlief, kann ich gar nicht mehr sagen. Vielleicht habe ich geschlafen. Was ich aber sagen kann ist, dass ich viele Monate - wenn nicht sogar Jahre - Angst hatte, sie wollten mir die Kinder gänzlich entziehen. Ja, diese Angst hatte ich lange. Ich weiß bis heute nicht, wer auf diese Idee kam. Aber mittlerweile spielt das auch keine Rolle. Die Frage an sich spielt heute keine Rolle mehr. Wurde damals auch nicht weiter thematisiert, glaube ich.

Für mich aber, zu jener Zeit, gab es einen Schuldigen für diese Frage. Die neue Partnerin meines Exmannes. Ob das der Realität entsprach oder nur in meinem Kopf so war, war für mich nicht wichtig und ich sprach das auch nie aus. Warum auch. Aber seit dem sah ich die Beziehung zur ihr gänzlich anders. Für mich war sie eine Konkurrentin geworden, die mir meine Kinder weg nehmen wollte. Auch wenn das völliger Schwachsinn war, rückblickend betrachtet. Oder doch nicht? Aber man stelle sich dieses Gefühl einfach mal vor.. Da gibt es etwas, was du unbeschreiblich liebst. Völlig anders liebst, als sonst etwas auf dieser Welt. Und aus welchen Gründen auch immer, hast du kaum etwas davon. Und dann kommt da noch jemand daher und "will" dir dieses letzte bisschen auch noch nehmen. Kann sich jemand, der nicht in meiner Situation ist, so ein Gefühl vorstellen? Mein schwarzes Loch war damals oft zu Besuch. Ob ich für sie auch eine Konkurrentin war, kann ich nicht sagen. So was fragt man ja auch nicht. Aber Fakt ist, dass wir uns intensiv - und das lange Zeit - nicht mochten. Jedenfalls war das bei mir so. Und ich glaube, bei ihr auch. Man merkt ja, ob dein Gegenüber Sympathie empfindet oder nicht. Unsere Beziehung zueinander glich mehr wie einer Berg-und-Tal-Fahrt. Mal lief es gut. Mal nicht. Ach was versuche ich hier eigentlich zu umschreiben. Wir haben uns öfter mal so ordentlich angekeift. Das ging ruhig los und endete in einer Explosion. Bäms. Vor den Kindern. Sch... Aber was will man dagegen sagen, wir sind nun mal auch nur Menschen. Und auch die Kleinen müssen erfahren, dass eine zwischenmenschliche Beziehung ohne Streit nun mal nicht existiert. Nur so können sie doch lernen, wie man sich streitet und wieder verträgt. Und wir stritten uns eigentlich nur um eines: Um unsere Kinder. Wie Löwinnen die um das Revier kämpfen. Ja, ich sage bewusst "unsere" Kinder.

Eines sonntags dann, als die Kinder wieder Heim gebracht wurden und ich das letzte Mal aus dem Autofenster sah, um meine beiden noch mal sehen zu können und so lange zu winken bis sie mich nicht mehr sahen, ging mir eine Frage durch den Kopf die mich die kommenden Monate beschäftigen sollte. Knapp ein Jahr beschäftigen sollte.

Was ist wenn meine Kinder zu ihr mal "Mama" sagen würden?

Als mir diese Frage zum ersten Mal in den Sinn kam, bin ich innerlich in totaler Panik ausgebrochen. Versuchte aber rational zu bleiben - so wie es für mich anno dazumal möglich war - und sagte mir, dass bis dahin noch Zeit wäre. Aber was ist, wenn die Zeit da ist, wenn es passiert. Wie reagiere ich darauf? Wie fühlt es sich an? Wer bin ich dann noch? Ja wer? Das sind doch meine Kinder. Ich bin doch die Mama. Ich hatte sie im Bauch, unter meinem Herzen getragen und auf diese Welt gebracht und ... war nicht mehr da. Sie war da. Jeden Tag. Jeden einzelnen Tag. Diese Frau machte meinen Job. 24 Stunden am Tag. Mir machte das alles ganz schön zu schaffen. Wieder war da die Angst, meine Kinder völlig verlieren zu werden. Nicht nur zu können. Zu werden. Das ist einfach ein Gefühl, das sich so schlecht in Worte fassen lässt. Es ist Angst. Pure Angst. Mehr noch, als nachts allein durch einen Wald zu laufen. Im Wald kann ich weg rennen. Oder die Taschenlampe einschalten. Oder nachts einfach gar nicht erst in diesen Wald gehen. In dieser "Mamasache" konnte ich so gar nichts tun. Ich hatte sie nicht unter Kontrolle, konnte sie nicht beeinflussen oder aufhalten. Was konnte ich denn überhaupt tun? Ich hörte gar nicht mehr auf darüber nachzudenken. Wie das immer bei mir ist. Ich denke so lange über ein Thema nach, kaue es wieder und wieder durch wie eine Kuh, bis ich einen Haken dahinter setzen kann. Erst dann ist für mich ein Thema abgeschlossen. Ich kann nicht rumsitzen und darauf warten, dass es sich selbst fügt. Das tut es sowieso. Aber ich kann die Zeit bis zum Sowieso in Ruhe verbringen, wenn der Haken da ist. Aber mit dieser Sache war das etwas anderes. Es ging um mehr als nur um einen beruhigenden Haken. Es ging um das Leben, welches ich führte. Um die Frau die ich war und die ich bin. Und es ging darum, wer ich für meine ChaosKinder war und auch für immer sein wollte. Es ging darum, wer ich mir wünschte in ihren Augen zu sein. Ihre Mama. Lange ging mir die Frage durch den Kopf, was ich tun könne. Die Antwort kam blitzartig und kurz war sie auch: Nichts. Gar nichts konnte ich dagegen tun. Überhaupt nichts. Sicher, ich könnte anfangen meinen ChaosKindern zu verbieten, Mama zu ihr zu sagen. Ja. Aber was brächte das wirklich? Wenn ich angefangen hätte, mit einem Verbot dieses Mamasagen zu verhindern, dann hätte ich ungewollt ihre Aufmerksamkeit genau darauf gelenkt! Sie hätten sich in ihren kleinen Knödelköpfchen gefragt, "warum will Mama nicht, dass wir zu ihr Mama sagen? Und, geht das überhaupt?" Zack, wäre "Mama" in ihren Köpfchen gewesen. Mir wurde klar, dass ich es weder verhindern noch beeinflussen konnte. Ich konnte es einfach nur annehmen. Und ich wusste, es würde passieren. Denn wenn meine Kinder sie als Mama sehen, dann sehen sie sich nicht deswegen so, weil jemand kommt und ihnen das vorschlägt. Nein. Sie sehen sie so, weil sie es fühlen. Sie fühlen sie als Mama. Und gegen solch ein Gefühl kann niemand etwas tun. Gegen Gefühle im Allgemeinen kann man überhaupt nichts tun. Sie sind da, werden gefühlt und müssen gelebt werden. Oder ist jemand von euch (Erwachsenen) schon so groß, Gefühle auf einmal nicht mehr fühlen zu können? Nein? Warum sollten dann Kinder das können? Sind sie doch noch weniger in der Lage, Kontrolle über ihr Gefühlsleben zu haben als wir Großen. Nicht mal die Erwachsenen sind vollends Herr ihrer Sinne...

Und überhaupt, so ein Verbot funktioniert nicht. Es schürt eigentlich beim Kind nur Angst den "echten" Elternteil zu enttäuschen und zudem entwickelt ein Kind dann ein schlechtes Gewissen, natürlich gegenüber dem "echten" Elternteil. Sie fühlen sich unsicher. Alles ganz negative Dinge, die für eine so kleine Kinderseele einfach nicht gesund sind. Und zudem können sie dann die Gefühle zum Bonuselternteil alias Stiefelternteil überhaupt nicht ausleben. Auch nicht seelenheilfördernd. Gefühle sind ja nicht da, um sie zu unterdrücken. Sie wollen und müssen ge-fühl-t werden.
Mal so ein Beispiel für "Schlechtes Gewissen": Mein großes ChaosKind wurde eine Zeit lang - mittlerweile nicht mehr so intensiv - von so einem doofen Gewissen geplagt. Dieses kam ganz von allein - eben weil er uns beide als Mama fühlt. Wenn die ChaosKinder von mir entweder abgeholt oder wieder Heim gebracht wurden, sagte mein großes ChaosKind zur einen Mama "Mama, ich hab dich lieb!", und schaute ganz schnell zur anderen Mama im Sinne von "Ohje...ist Mama jetzt traurig? Glaubt sie, ich hätte sie nicht lieb?" um ihr dann auch ganz schnell "Mama dich habe ich auch lieb!" zu sagen. Fühle man sich da einfach mal hinein.. Man kann darauf eigentlich in einer stillen Minute nur so viel sagen wie, "Es ist gut und richtig, dass du uns beide lieb hast. Mach dir keine Sorgen." Und dann ordentlich Knuddeln! Jedenfalls tat ich das so.

Nun weiter im Text.

Ich stellte mich also die kommenden Monate darauf ein, dass meine ChaosKinder zu der neuen Frau in ihrem Leben "Mama" sagen werden, um dann damit auch umgehen zu können. So hoffte ich jedenfalls.

Und der Tag kam. Natürlich. Ich habe daran schon gar nicht mehr gedacht. Es war wieder ein Tag der Übergabe. Die Beiden steigen aus und .... "Mamaaa!"... Ich wusste, ich war nicht gemeint. Tja was soll ich sagen. War ich erschrocken? Ja. Tat es weh? Ohne Frage, ja. War es in der Situation, in dem Moment schlimm? Nein - ich war ja darauf eingestellt. Habe ich etwas gesagt? Nein. Hat überhaupt irgendwer etwas gesagt? Nein. Die Situation war komisch. Als würden sich alle mit kurzen Blicken immer wieder ansehen. Auf eine Reaktion warten. Die kam aber nicht. Es war eine normale Übergabe. Allerdings diesmal von Mama an Mama. Und das ist sie meist seit dem.

Bis vor einigen Tagen wusste ich überhaupt nicht, wie das alles von statten ging. Wie hat sich dieses Mamasagen entwickelt? Wer sagte es von meinen beiden ChoasKindern zuerst? Das in Erfahrung zu bringen war relativ einfach. Ich fragte die andere Mama einfach. Mittlerweile geht das. So locker zwischen drin mal eine Frage stellen oder mal ein Foto schicken oder eines von ihr geschickt bekommen, wie der Große gerade Hausaufgaben macht oder der Kleine in der Wanne sitzt. Daran war vor gar nicht allzu langer Zeit überhaupt nicht zu denken. Telefonieren, obwohl das eigentliche Thema schon besprochen worden ist, möglich und man lacht dann sogar. Ich will nicht behaupten, dass wir heutzutage ein inniges Verhältnis zueinander haben. Aber doch so eines, dass wir miteinander reden können ohne in Streit zu verfallen weil wir uns einfach nur missverstanden haben oder gerade zickig sind. Mittlerweile sind wir uns einig. Wir haben uns akzeptiert und wissen, dass für uns beide nur eines wichtig ist: Das Wohl unserer Kinder. Und dabei denke ich, können wir uns aufeinander auch verlassen und arbeiten auch zusammen. Jedenfalls war ihre Antwort auf meine Frage, wie sich denn das Mamasagen entwickelte wie folgt: Begonnen habe damit mein kleines ChaosKind - wie war es anders zu erwarten. Er nannte sie einfach so. "Mama". Beide hätten versucht es zu unterbinden - aber zwecklos. Auch nicht verwunderlich. Also blieb es so. Mein Großer zog dann irgendwann mit. Auch nachvollziehbar.

Betrachte ich unsere Mama-Mama-Beziehung aus der Vogelperspektive, kann ich sagen, dass wir anfangs zu 100 % "Mama vs. Mama" waren. Mal mehr, mal weniger. Aber wenn "mehr", dann richtig. Heute denke ich, sind wir schon eher "Team Mama". Zum Augenrollen meiner ChaosKinder.

In gar nicht mal so entfernter Vergangenheit kam mir ein Gedanke.. Womöglich, dass sie anfangs ihre Probleme mit mir hatte, weil sie nicht so recht wusste, wie eine Mama in der Lage sein kann ihre Kinder "im Stich" zu lassen. Ich war in ihren Augen vielleicht eine Rabenmutter und dieses Mamasein passt ja nun mal nicht in Jedermann Welt. Sie hat die ganzen fünf Jahre nicht gefragt.

Bis vor knapp 4 Wochen...

Ich bin eine ganze Weile schon sehr dankbar, dass die andere Mama nicht lange auf sich warten lassen hat. Sie gab den Kindern somit etwas zurück. Eine Mama nämlich, die nicht nur am Wochenende be-greifbar ist. Auch wenn ich hoffe, sie haben dieses Erleben ohne irreparablen Seelenschaden überstanden, so weiß ich doch, dass es für meine beiden ChaosKinder nicht leicht war. Ich habe nie gefragt, wie es wirklich war. Abends und morgens. Nachts. Tagsüber. Ich glaube, ich bin auch noch nicht bereit, das zu wissen. 

Das schwarze Loch lauert. Immer.

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